Mittwoch, 12. Mai 2010

Wochenende in Kazan Teil 1...

Nachdem ich schon viel von der tatarischen Hauptstadt Kazan (ca. 500 km westlich von Ufa) gehört hatte und Franzi, Julia und Roman am letzten Wochenende dorthin fuhren, entschied ich mich, mit ihnen zu fahren, da ich die Stadt sowieso unbedingt sehen wollte und es ja zusammen mehr Spaß macht als allein. Außerdem hatten wir hier wieder ein langes Wochenende, weil am Sonntag, den 09.05. der große Tag des Sieges war. Und da ein Feiertag an einem Sonntag ja Verschwendung ist, machen es die Russen genau wie die Australier...und zwar ganz richtig, meiner Meinung nach: nämlich Montag frei!!! :-)
Da Franzi, Julia und Roma aber den kompletten Weg nach Kazan trampen wollten (was an sich ein tolles Abenteuer gewesen wäre, hätte es sich nicht um eine solche große Distanz gehandelt) und sowohl Stefan als auch meine Mutti mir gegenüber zusätzlich zu meiner eigenen Angst noch ihren Unmut über das Thema Trampen ausdrückten, entschied ich mich, mit dem Übernacht-Bus nach Kazan zu fahren. Dieser verlässt Ufa jeden Abend um 21 Uhr. So bin ich also Samstag Abend zum Busbahnhof in Ufa gefahren und von dort weiter mit einem Reisebus mit eingedellten Sitzen richtung Kazan! Neben mir saß ein ganz lieber, ruhiger Mann, so Ende 50, der sich mit mir eine Weile unterhielt, mir aber auch kein Gespräch ans Knie nagelte. Es war also sehr angenehm. Später stand er sogar auf und setzte sich auf einen freien Platz mit den Worten, ich solle mich ruhig auf beide Plätze legen und in Ruhe schlafen! Bei einer Pause an einer Raststätte sprach mich dann ein anderer Mann aus dem Bus an, ob ich aus Finnland sei! (Ich schätze, die blonden Haare und der ausländische Akzent lassen das vermuten.) Wir haben uns auch kurz unterhalten und als er 2 Stunden später in irgendeinem Dorf mitten in der Prärie ausstieg, kam er an meinem Platz vorbei, schüttelte mir die Hand und gab mir ein 1-Kopeken-Stück (was ich, ehrlich gesagt, noch nie in meinem Portemonnaie hatte, ist ja auch genau 0,02 Cent wert...), sagte, das würde mir Glück bringen, es sei ein Geschenk von ihm, Salavat, und ich solle es nicht verlieren! Habe ich auch nicht! Wirklich Wahnsinn, wie lieb die Menschen hier zu dir sind, wenn sie sich nur einmal kurz mit dir unterhalten haben und wissen, dass du aus Deutschland kommst und dich für ihr Land interessierst!
Die Fahrt ging relativ zügig weiter, übrigens die ganze Zeit über eine Landstraße, die nirgendwo anders hinzuführen schien als geradeaus ins Nimmerland...Auf dem Ticket stand, dass wir 8 Uhr morgens ankommen würden....Und ich hatte mich mit Franzi, Julia und Roma verabredet, dass wir uns um 10 Uhr am McDonalds auf Kazans Haupt-Touristen-Straße, der Baumanskaya uliza treffen würden, so dass ich noch in Ruhe bei McDonalds frühstücken konnte. Die drei waren nämlich Samstag morgen schon nach Kazan getrampt. Allerdings hatte ich den Zeitunterschied von 2 Stunden zwischen Ufa und Kazan vergessen UND der Bus fuhr schneller als gedacht, so dass ich schon um 4 Uhr morgens in Kazan ankam! Alles war wie ausgestorben, die Stadt schlief und so lief ich vom Busbahnhof Richtung Stadtzentrum... Da Kazan schon zur Zeitzone Moskaus gehört und somit sehr sehr östlich in der Zeitzone liegt, ging Gottseidank um 4 Uhr morgens schon die Sonne auf. So setzte ich mich am kleinen Ozero Nishny Kaban auf eine Parkbank und beobachtete bei ein paar Frühstücksschnittchen den Sonnenaufgang über der Stadt...
 
Dann fand ich Gottseidank EIN offenes Café, in dem ich 3 1/2 Stunden lang an einer Kanne Tee schlürfte und mit meinem Buch in der Hand noch ein wenig die Ruhe vor einem langen Touristentag genoss und durchs Fenster beobachtete, wie die Stadt langsam erwachte...Ich hatte inzwischen mit Julia und Franzi kommuniziert und sie kamen daher schon um 9 Uhr zum vereinbarten Treffpunkt. Bis dahin hatte ich schon ein paar Fotos der wunderschönen Gebäude in Kazans Innenstadt gemacht - früh am Morgen, wenn noch nicht viele Menschen da sind! Lasst es einfach auf euch wirken:







Die Stadt ist einfach toll!!! 

Wir machten uns gleich auf den Weg zum Zentralplatz, wo anlässlich des  65. "День победы" (Tag des Sieges) eine große Parade von Soldaten stattfand. Ich bekam eine Gänsehaut, als ich die Massen und die roten und weißen Luftballons aufsteigen sah. 
Zunächst war ich sehr ängstlich aufgrund meiner deutschen Herrkunft und es geschah genau das, was ich befürchtet hatte: Am abgezäunten Eingang standen Polizisten und führten genau bei mir eine sehr intensive Taschenkontrolle durch. Ich war natürlich auch als Tourist unverkennbar, da ich in Turnschuhen und mit Rucksack unterwegs war. Nachdem der Polizist mich einmal von oben bis unten angeschaut hatte, blieb sein Blick (so schien es mir) an den blonden Haaren hängen und er fragte mich, ohne dass ich bis dahin etwas gesagt hatte: "Sind Sie aus Deutschland?" Ich erschrak und sagte: "Ja." Daraufhin  lächelte der Polizist: "Das ist aber schön!" und ließ mich durch. Mit einer solchen Reaktion hatte ich nicht gerechnet!

Der Tag des Sieges der UdSSR über das faschistische Deutschland im Großen Vaterländischen Krieg (1941-1945) wurde 1945 eingeführt, seit dem Jubiläumsjahr 1965 als arbeitsfrei erklärt und mit einer feierlichen Parade auf dem Moskauer Roten Platz begangen. Nach dem Zerfall der UdSSR gab es eine Zeit lang keine Paraden am Tag des Sieges, bis 1995 das Ritual wiederbelebt wurde und heute in mehreren großen Städten in Russland stattfindet. Vor 65 Jahren, im April 1945, kamen die Sowjettruppen dicht an die Grenze von Berlin. Nach unendlich scheinenden Gefechten sowie Waffenstillstands- verhandlungen unterschrieben am 08.05.1945 um 22.43 Uhr mitteleuropäischer Zeit (9. Mai, 0.43 Uhr Moskauer Zeit) Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel und die von Dönitz bevollmächtigten Vertreter der deutschen Kriegsmarine den Akt über die bedingungslose Kapitulation Deutschlands. Im Verlauf der Berliner Operation verloren die Sowjettruppen 78 000 Mann an Gefallenen. Völlig zerschlagen wurden 70 Infanterie-, 12 Panzer- und 11 motorisierte Divisionen des Gegners und an die 480 000 Mann gefangen genommen.

Fast alle Menschen trugen das Sankt-Georgs-Band, welches als bekanntes Symbol militärischer Tapferkeit im neuen Russland gilt. Es wird seit dem 60. Jahrestag als Armband,Wimpel am Auto oder an die Handtasche gebunden, genutzt, um die Anteilnahme an dem Ereignis des Kriegsendes auszudrücken. Ich hatte die Menschen in Ufa schon tagelang vor dem großen Tag mit diesen orange-schwarz gestreiften Bändchen herumlaufen sehen.
Es war eine riesen Bühne aufgebaut und einige Soldaten tanzten und sangen darauf. Die restlichen Soldaten standen geordnet in Quadraten auf dem Platz und schrien aus voller Kehle "Hurrah, Hurrah, Hurrah", nachdem von der Bühne gesagt wurde: "Liebe Veteranen, Soldaten, Zivilisten und ausländischen Gäste...ich gratuliere euch zum großen Sieg über die Deutschen am 09.Mai 1945...." 
Rundherum war alles abgezäunt und da standen die Zuschauer. Darunter auch wir Deutschen. Uns wurde unheimlich, als die Soldaten "Hurrah" riefen. Mir lief es kalt den Rücken herunter und ich wusste nicht, ob ich weinen oder lachen sollte. Es war ein unheimlich seltsames Gefühl, dort als Deutsche in der Menge zu stehen, obwohl ich ja mit dem 2.Weltkrieg überhaupt nichts mehr zu tun habe. Mich hat extrem beeindruckt, wie stolz über ihren Sieg, aber auch betroffen von den vielen umgekommenen Menschen die Russen sind und dass sie dies an einem solchen Tag auch so mit voller Inbrunst zeigen. Die Worte waren (so, wie ich mich erinnere und von mir ins Deutsche übersetzt): "Wir werden es nie vergessen, wie viele Opfer der Krieg gekostet hat. Fast jede russische Familie ist betroffen von mindestens einem Schicksalsschlag, der während des 2. Weltkrieges zu verzeichnen ist. Wir gedenken dieser Menschen für immer. Wir danken den Veteranen." Noch etwas benommen von dem Erlebnis konnten wir dann aber schon wieder lächeln. 
 
Ich bin sehr froh, dass ich das einmal mit angesehen habe. Diese Parade gehört zu den Erlebnissen, die ich so schnell nicht vergessen werde. Wir verließen das Gelände der Paraden und begannen unsere Tour durch das Stadtzentrum von Kazan. Damit geht es weiter im zweiten Teil...

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