… ich sitze im Zug nach Moskau und habe schon die erste Nacht hinter mir. Gestern Nacht um 00.10 Uhr gab es Abschied am Bahnhof mit vielen Freunden: Tobi, Julia & Roma, Sveta, Julia & Denise und Andrej & Marina! Ich hätte gar nicht gedacht, dass mich doch alle so lieb haben. In der WG haben wir gestern Abend noch eine Flasche Wodka, die ich da lassen musste, geleert (naja, fast…) Die dritte Runde, wie es sich gehört, mit links und auf die Liebe und dann waren wir doch schon ein wenig angeheitert, als Julia und Denise mit dem Auto kamen, um Julia, mich und mein Gepäck zum Bahnhof zu fahren und mich zu verabschieden. Das war echt nett. Denn ich habe doch ganz schön viel Kram bei mir: Trekkingrucksack, Tagesrucksack, Essensbeutel, 5-Liter-Wasserkanister und die Ukulele!
Tobi und Roma sind mit dem Bus gefahren und dann trafen wir uns alle um halb 12 am Bahnhof in Ufa. Ich habe noch lauter schöne Geschenke bekommen!!! Danke, ihr Lieben!
Jetzt sitze ich hier im Zug auf meinem Bett 27, Gottseidank unten, habe gefrühstückt, ausgeschlafen und versuche runterzukommen von dem ganzen Stress der letzten Tage in Ufa. Beim Betrachten der vorbeiziehenden Natur wird mir gerade plötzlich klar, in welchem Land ich mich eigentlich die letzten Monate aufgehalten habe. Zeitweise, muss ich zugeben, habe ich tatsächlich vergessen, das zu schätzen. Die Möglichkeit, Russisch zu lernen, quatschen und die Kultur mit eigenen Augen zu erleben, wird in exakt 2 Tagen vorbei sein. Wahnsinn! Ein weiteres Auslandserlebnis habe ich hinter mich gebracht. Ich fühle mich blutjung und gleichzeitig reich an Erfahrung wie eine alte Babushka. J Das mag durchaus daran liegen, dass die meisten Russen in meinem Alter noch nie das Land verlassen haben … Alles wird sich ändern, wenn ich am Samstag früh australischen Boden betrete und auch, wenn Stefan und ich am 11.Oktober wieder nach Deutschland zurückkehren. Ich habe das Gefühl, dass die Zeit für mich stehengeblieben ist in dem Russland, wo jeder mit dem Handy ins ICQ geht und T-Shirts mit Glitzer-Katzen bedruckt sind, wo auf dem Postamt dumme, sture Menschen arbeiten… Alles bewegt sich schnell, auch mir kamen die letzten Wochen vor, als würden sie nur so dahin fliegen, doch die Zeit davor erschien mir wie klebriger Kaugummi. Und nicht nur die Zeit, auch das russische Lebensgefühl… irgendwie alles ein bisschen anders und langsamer. Plötzlich fand ich mich in Gesprächen über Heirat wieder… mit jungen Russen, die meist noch jünger waren als ich. Dann die Unfreundlichkeit im Servicebereich und öffentlichen Dienst … als würden wir in der Steinzeit leben. Man wird mit Blicken und nicht selten mit Worten dafür bestraft, etwas kaufen zu wollen. Vor etwa 7 Wochen fing man im Supermarkt bei uns um die Ecke an, den Verkäuferinnen einen Satz einzutrichtern, den sie dann auswendig gelernt, aber offensichtlich dessen Bedeutung nicht verstanden haben, wenn sie bei der Aussage „Danke für ihren Einkauf. Kommen Sie wieder.“ klingen, als stünden sie auf einer Beerdigung. Dabei senken sie den Kopf so sehr, als wäre es ihnen peinlich, solch einen Satz zu sagen.
ABER! (Und es gibt immer ein Aber, in jedem Land, auch in meinem so „perfekten“ England und in meinem sehnsüchtig erwarteten Deutschland) Was mir in Russland so unglaublich gut gefällt, ist, dass vieles einfach einfacher geregelt wird als bei uns. Wir wollen zelten: Los, wir setzen uns einfach 5 Stunden in eine Elektritschka und steigen mitten in irgendeiner Natur aus. Wir fahren gegen ein anderes Auto: Naja, lass uns den Kratzer mit einem Tuch abwischen und 300 Rubel, dann brauchen wir auch nicht die Polizei zu rufen. 30 Minuten zu spät zum Termin: Naja, kein Problem, lass uns erst mal einen Tee trinken! J Ich habe bisher kein anderes Volk kennengelernt, das sich freiwillig 28 Stunden in einen Zug setzt, der keine Klimaanlage hat, wo sie dann in kleinen Boxen auf ihren Betten liegen, weil beim Sitzen der Kopf anstößt … und ich mache dabei auch noch mit! Bis auf die Tatsache, dass ich gerade in diesem Moment fast dahin schmelze vor Hitze, gefällt mir das eigentlich. Ich habe das Gefühl, mich nun endlich zu beruhigen. Gestern war ein verrückter Tag! Ich hatte mal wieder ein Schlüsselerlebnis auf dem russischen Postamt und überhaupt haben die Emotionen in den letzten Tagen etwas verrücktgespielt. Abschiede, viel zu erledigen und ich bin einfach völlig fertig und möchte endlich zu Stefan nach Australien! Leider ist das Ganze in den letzten Wochen und Tagen eher in ein „Richtung-Ziellinie-Schleppen“ ausgeartet, statt in wilde Vorfreude. Aber ich bin sicher, die Vorfreude kommt noch und ich muss nun Ufa hinter mir lassen. Ich habe versucht, alle mir gestellten Aufgaben dort zu lösen und jetzt bin ich weg. Das halbe Jahr in Ufa fiel mir hundertmal schwerer als mein Aupair-Jahr in England, aber ich habe jetzt nach 15 Stunden Zugfahrt doch eher gemischte Gefühle. Ich höre wieder russische Musik auf meinem Ipod und muss schmunzeln, ich fühle mich wohl bei russischer Musik im Ohr, durch die russische Natur rasend. Die ganze Zeit in Ufa konnte ich diese Musik nicht ertragen und habe nur englische oder deutsche Musik gehört, außer natürlich bei Lagerfeuerabenden… Live-Gitarre ist ja auch was ganz anderes! Hach, ist es nicht wie so oft? Man weiß die Dinge erst wieder zu schätzen, wenn sie nicht mehr da sind. Ich denke, mit der Sehnsucht nach Stefan und den ungewöhnlichen Lebensbedingungen (Russland ist nun mal nicht Deutschland) habe ich es einigermaßen gemeistert. Und mein Russisch ist auch echt gut geworden!!! Ein Traum geht zuende… Es war ein Traum, manchmal ein Alptraum, aber auf jeden Fall eins von beiden. ;-)
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