Heute war mal wieder ein Tag voller interessanter Geschehnisse: Als ich die Wohnung verließ, um zur Uni zu fahren, habe ich zum ersten Mal das mit eigenen Augen gesehen, wovon immer alle Deutschen hier mit Ekel berichten: Dass die russischen Typen hier auf die Straße oder den Fußweg spucken, und gerade auch immer dann, wenn man als Frau vorbeiläuft, daran hab ich mich ja schon fast gewöhnt. Aber heute, kurz vor der Bushaltestelle liefen mir zwei alte Frauen entgegen. Plötzlich hielt die eine an, sagte noch zu der anderen: „Warte mal!“, hielt sich dann die Nase mit der Hand zu und schniefte den kompletten Inhalt in den Schnee direkt am Wegesrand, so dass es schön langsam heraustropfte. Ich konnte ein leises „Iiiih“ nicht mehr unterdrücken und drehte meinen Kopf schnell weg, da ich genau in diesem Moment an ihr vorbeilief. Gottseidank hat sie es nicht verstanden, denn die Russen sagen nicht „Iiiih“, sondern „Fuuuh“. Nun frage ich euch: Was ist bitteschön ekliger? Den Inhalt seiner Nase auf der Straße zu entleeren, wo dann später Menschen hineintreten oder es lieber ordentlich in ein Taschentuch zu schnaufen, so dass man die ganze Pampe nicht an den Fingern hat?????? Ich glaube, genau hier scheiden sich die Geister, denn wie wir ja alle wissen, wird man in Russland mit Ekel angeschaut, sobald man ein Taschentuch benutzt! Ich kann diesen Ekel beim besten Willen nicht nachvollziehen, wenn es andererseits völlig ok ist, auf den Fußweg zu spucken und zu …. na, ihr wisst schon!
Naja, dann bin ich in die Uni gefahren und habe gleich das nächste seltsame Szenario erlebt. Eigentlich stand um 14 Uhr „Moderne Russische Sprache“ bei Swetlana Evgenia Rodionova auf dem Programm. Es kam aber alles anders: Ich habe euch mal meine aufgeschriebenen Gedanken während dieser echt schrägen Vorlesung abgetippt. So steht es tatsächlich in meinem Heft. Es war einfach nur seltsam!:
----------14.15 Uhr. Zwei fremde Frauen sind gerade gekommen. Eine blonde und eine schwarzhaarige (mit Brille!). Sie steht vorn und erzählt irgendwas, was ich nicht verstehe. Ich glaube, es geht um Gesundheit und kranke Kinder und dass wir jetzt eine interessante Vorlesung erleben werden und dass wohl einmal im Jahr so etwas stattfindet. Was ich verstehe:
-Jugend macht sich keine Gedanken mehr über ihren Körper und ihre Zukunft --> Problem
-Eltern/Großeltern kümmern sich nicht
-man liest keine Zeitung mehr, nur noch Internet
-Möglichkeit, sich im Internet zu informieren, aber es wird nur noch für Freundschaftsnetzwerke genutzt
-es wird beim Einkaufen nicht mehr auf Produktinhaltsstoffe geachtet: Fleisch, Milch, Butter, Majonäse
-Menschen trinken nicht genug, wenn, dann aus der Leitung und das ist nicht gesund und andererseits verschwenden sie Wasser
-Wie wohnt ihr im Wohnheim? Alles dreckig und billig
-Wir wollen, dass ihr höhere Bildung erhaltet, gute Noten, heiraten, Kinder bekommen und viel Geld verdienen, aber achtet auch auf eure Gesundheit
Jetzt stellt sich die blonde Frau vor und die andere geht: Ärztin, 42 Jahre alt, sagt ihre Telefonnummer und Sprechzeiten sowie Adresse für kostenlose Beratungen bis 18 Jahre.
Es ist jetzt 14.35 Uhr. Wo ist unsere Dozentin?
Jetzt erzählt sie was von ungewollten Schwangerschaften, Rauchen während der Schwangerschaft, Geschlechtskrankheiten, schlechte Arzneimittel und warnt vor der studentskaya Poliklinika, weil dort alles überhaupt nicht persönlich und anonym ist. Sie sagt: „Kommt zu mir in die Sprechstunden, wenn ihr Probleme habt und macht beide einen Test, ob ihr gesund seid, bevor ihr mit eurem Partner das erste Mal schlaft!“ 14.55 Uhr. Ich frage mich, was jetzt noch so kommt. Die Russen sitzen alle da, manche lesen oder schreiben irgendwas, andere hören interessiert zu. Ich meine, die könnten ja auch einfach gehen, wenn sie es nicht hören wollen! Seltsame Sache! Da kommen hier einfach zwei Frauen von na, wahrscheinlich sowas wie der Familienberatung, Seelsorge, Dr. Sommerteam und Gynäkologie alles in einem und erzählen uns ne halbe Stunde was und die Dozentin taucht einfach nicht auf! Die anderen Studenten waren auch alle verwundert und haben es offensichtlich vorher nicht gewusst.
15 Uhr. So, jetzt ist sie gegangen und eine fremde Lehrerin gekommen, die ich auch nicht kenne! Häääh???? Was geht hier vor sich? Aber hier sitzen die gleichen Studenten wie immer, es ist Donnerstag 14.00-15.35 Uhr und jetzt hab ich das Mädchen hinter mir gefragt: Sie meinte, nein, das sei nicht „Moderne russische Sprache“, sondern „Geschichte der russischen Sprache“. Häääh? Und ich bin doch auch im richtigen Raum, 423 im Hauptkorpus! Hab ich ne Macke? Wo ist Swetlana Rodionova???? Und vor allem hat sie gerade gesagt: „Gestern haben wir ja …… gemacht und heute……“ Ich bin verwirrt, immer noch! Und alle scheinen es ganz selbstverständlich zu finden. Vielleicht gab es eine Stundenplanänderung? Aber ich hab auch die zwei Mädchen Dasha und Lilya noch vorhin im Korridor gesehen (mit denen ich doch in dieser Vorlesung immer zusammen sitze) und die sind aber nicht gekommen. Aber sonst sind es die gleichen Studenten wie immer. Ich kann jetzt auch nicht einfach gehen, ich sitze ja ziemlich weit hinten. Naja, sind ja nur noch 25 Minuten, mal sehen, was so kommt. Vielleicht ist es ja ganz interessant. Aha, aha, jetzt schreibt sie da irgendwelche altrussischen Hieroglyphen an die Tafel, aber ich verstehe natürlich themenmäßig nicht viel von dem, was die gute Frau da vorn erzählt, weil ich ja bei dieser völlig aus dem Nichts auferstandenen Vorlesung noch nie war. Jedenfalls sieht die Dozentin aus, als ob sie gleich tot umfällt. Sie hat rotgefärbte Haare mit grauem Ansatz, ist mindestens 140 Jahre alt und hat mehr Falten im Gesicht, als Haut zur Verfügung steht! Ach Mensch, jetzt hat sie ihr schönes altslawisches Tafelbild abgewischt. Das wollte ich doch noch abschreiben, oder wohl eher abmalen. Naja, weiß sowieso nicht, was es hieß. Irgendwelche Personalpronomen, das hab ich mitbekommen. Aber wofür braucht man das? Ich bin froh, wenn ich normales Russisch von heute sprechen kann! Naja, sie hat wahrscheinlich die altslawische Schrift selbst erfunden, so alt, wie sie ist!
Ihre Lippen ziehen sich schon nach innen in die Mundhöhle und sie hat geschätzte 13 Goldzähne! Die Augen sind von tiefen, dunklen Augenringen untermalt und sie verspricht sich ständig und vergisst, was sie eigentlich sagen wollte. Jetzt gerade wollte sie eine Definition diktieren (was hier in der Uni üblich zu sein scheint) und hat aber alles vergessen und sich verhaspelt, so dass die Studenten sie berichtigen mussten. Das Mädchen hinter mir und ich sind gerade leise am Kichern. Viel verstehe ich nicht, weil sie sehr undeutlich redet, aber um zu merken, dass sie keine besonders gute Dozentin ist, muss man kein Russisch können! Also, für mich gehört die Frau in einen Sessel mit Buch, Strickzeug und Fernbedienung in der Hand! So, noch 7 Minuten. Also, wenn das mal keine außergewöhnliche Vorlesung war! Jetzt geh ich erst mal zum Stundenplan und werde mich durch das russisch geplante Chaos wühlen, das wahrscheinlich alle verstehen, bloß ich nicht! -------------
Danach bin ich in den „LeseSAAL“ gegangen, um einfach mal zu gucken und die Zeit zu überbrücken. Es war nicht wirklich ein SAAL, sondern eher ein Klassenzimmer mit Tischen und Stühlen aufgebaut wie in der Schule und man kann sich dort hinsetzen und lesen, schreiben, was man eben so in einer Unibibliothek tut. Der Unterschied war hier nur, dass es keine Regale mit Büchern gibt, wo man sich nehmen kann, was man möchte, sondern ein kleines Fenster, wo eine Dame in einem kleinen Kabüfterchen sitzt und Bücher verleiht! Keine Ahnung, wie groß da die Auswahl ist, aber sah sehr interessant aus. Ich hab mich also ne halbe Stunde hingesetzt und meine Englischstunden für morgen vorbereitet. Lustige Sache, dieser „Lesesaal“!
Dann habe ich mich auf den Weg zur Deutschfakultät gemacht, wo Maria heute den Film „Barfuß“ zeigen wollte. Ich wusste noch nicht, ob es auf Deutsch oder Russisch sein wird, aber ich dachte mir, dass es doch immer interessant ist, ein paar neue Leute kennenzulernen, auch wenn ich den Film schon 5 mal gesehen habe! Es war auch total nett. Tobi und Julia waren auch da. Der Film war auf Deutsch und hinterher haben wir uns noch bestimmt eine Stunde über verschiedene interessante Aspekte des Films unterhalten. Die Leute, die da waren, wollten natürlich alle gern deutsch sprechen, um zu üben, also war es wieder nichts für mich mit Russisch. Aber Spaß hat es trotzdem gemacht! Super Idee, Maria! Daumen hoch!
Also, ein rundum interessanter Tag!
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